(CIS-intern) – Aktueller konnte der Auftakt der neuen Spielzeit der Hamburgischen Staatsoper unter dem neuen Führungsduo des Intendanten Georges Delnon und des Generalmusikdirektors Kent Nagano kaum sein: Denn die mehr als 150 Jahre alte Mammutoper „Les Troyens“ – Die Trojaner“ des französischen Komponisten Hector Berlioz (1803 – 1869) ist ihrem Wesen nach die Geschichte von Flüchtlingen.
Foto Hans-Jörg Michel / Hamburgische Staatsoper
Berlioz hat in dem fünfaktigen Werk der „Aeneis“ des antiken Dichters Virgil folgend den Untergang Trojas und die folgende Flucht des von den Göttern zum Gründer Roms bestimmten Äneas und der karthagischen Fürstentochter Dido musikalisch bearbeitet. Das im Original fünf Stunden lange Werk gilt eigentlich als unaufführbar. In Frankreich ist es zu Lebzeiten des Komponisten nie gezeigt worden. In Deutschland ist es nur vereinzelt zu Aufführungen gekommen – so in Hamburg 1982. Somit ist es deutschen Sprachraum mehr oder minder unbekannt. Daran haben gelegentliche Aufführungen an kleineren Bühnen in den letzten Jahren nichts geändert.
Der freischaffende Regisseur Michael Thalheimer hat für Hamburg das Werk auf immer noch sehr lange 3 ½ Stunden gekürzt. Die musikalische Bearbeitung oblag dem französischen Komponisten Pascal Dusapin In dem minimalistischen Bühnenbild des ebenfalls freischaffenden Olaf Altmann fließen Ströme von Theaterblut. Die aktuellen Bezüge der bereits in der A-Premiere ebenso wie in der von uns besuchten B-Premiere mit stürmischem Beifall aufgenommenen Produktion sind bedrückend.
Berlioz’ Musik ist schön – selbst dann, wenn sie wie an diesem Abend keinesfalls vollkommen wiedergegeben wird. Das Orchester kommt auf weite Strecken arg laut aus dem Graben. Und Thalheimer hat einerseits sehr brutal gekürzt und lässt andererseits das hochkarätige Ensemble sehr statuarisch auftreten. Auch mit dem von Eberhard Friedrich gut einstudierten Chor ließe sich mehr machen.
Problematisch ist die Rollengestaltung der beiden Hauptdarstellerinnen. Die trojanische Seherprinzessin Kassandra im rot befleckten Brautkleid kommt wirkungsmächtig als personifiziertes Schicksal aus dem Hintergrund. Catherine Naglestad singt sie mit Würde, aber auch mit abgehackter, oft wegbrechender Legatolinie. Das einzig Königliche an der Dido von Elena Zhidkova ist ihr royalroter Samtrock zur schwarzen Spitzenbluse. Sie wirkt kaum wie eine afrikanische Herrscherin. Diese Rolle müsste mit Farben und Schattierungen gesungen werden. Die Künstlerin dürfte sich nicht auf ihr sattschönes, weiches, aber nicht warmes Mezzotimbre im Einheitsforte verlassen. So berührt Didos Tod wenig. Sie sei schon nach achtzig Sekunden eingeschlafen, konnte man in einer Kritik lesen. Thorsten Kerl als Äneas leidet schon seit der Generalprobe unter einer Erkältung. So ist er schwer indisponiert und klingt müde und gepresst, ein apathischer Antiheld im schwarzen Verlegenheitsmantel, als Charakter nie greif- und erlebbar. Generell lässt das Französisch der Sängerinnen und Sänger zu wünschen übrig.
Die Zuschauer störten sich an diesen Unzulänglichkeiten wenig und feierten alle Beteiligten lang und anhaltend.
Nächste Vorstellung
26. September, 19 Uhr, 4. Oktober 16 Uhr