Sheherazaad (Erased Tapes)

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Datum der Veranstaltung / Uhrzeit
29.10.2024
20:30 - 22:30

Veranstaltungsort
Nachtasyl (ex-Zentrale)



Kategorie


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Die., 29.10.2024
Sheherazaad (Erased Tapes) 
Nachtasyl
20.30 Uhr
 
 

“The universal feeling this song evokes is one of pure bliss”
— Paste Magazine

Nachdem sie im Herbst letzten Jahres mit „Mashoor“ ihre gefeierte Debütsingle für Erased Tapes vorgelegt hatte, kündigt Sheherazaad in dieser Woche ihre Qasr LP an, welche am 1. März 2024 erscheinen wird. Zeitgleich zur Albumankündigung teilt sie auch den neuen Track „Dhund Lo Mujhe“.

In der modernen Welt ist Migration omnipräsent. Sie durchzieht sämtliche Lebens- und Alltagsbereiche, steckt oftmals verschlüsselt in unseren Gewohnheiten. Während unzählige Menschen sowohl mental als auch körperlich mit nie da gewesener Aggressivität die Globalisierung vorantreiben, werden einst stabile „Genres“ und Identitäten jeder Art zerlegt – aufgespalten und abgeschafft, überflüssig gemacht und wieder neu geboren. Alles migriert, alles ist in Bewegung.

In genau diesem fluktuierenden Feld findet die US-amerikanische Komponistin und Sängerin Sheherazaad Inspirationen für ihre Songs. Ihr demnächst erscheinendes Minialbum Qasr, das von Arooj Aftab produziert wurde, entstand während einer Phase der familiären Entfremdung. Auch die Trauer über einen Todesfall in der Familie und die rassistische Polarisierung ihres Landes, das plötzlich kaum wieder zu erkennen war, prägten die Aufnahmen.

Der Titel des Albums bedeutet auf Urdu (der Nationalsprache in Pakistan und einigen indischen Bundesstaaten mit hohem muslimischen Bevölkerungsanteil) so viel wie „Burg“ oder „Festung“. Und tatsächlich ist Qasr ein Monument: Es verkörpert die Last der Vertreibung, die widersprüchlichen Sog- und Anziehungskräfte der Diaspora – und das schreckliche Problem der Auslöschung, des Vergessens der eigenen Wurzeln. Um genau diese Art der Erfahrung geht es, um die Gewalt, die Hysterie, auch um die Romantisierungen, die damit einhergehen, wenn Sheherazaad klanglich eintaucht in jenes In-Between – ins Reich des Dazwischen.

Auf dem neuen Song „Dhund Lo Mujhe“ (Eine Aufforderung: „Such nach mir“) durchschneidet das Pizzicato der Geigen mit fast schon beunruhigender Heiterkeit ihre stürmische Gesangsperformance: „Ich muss dabei an diesen Zirkus der Wahnsinnigen denken, an diesen ganzen Karneval der Unglücklichen“, sagt Sheherazaad. „Da geht’s um eine ganz spezielle Form von Wahnsinn, der mit migrantischer Erfahrung zusammenhängt. Darin impliziert schwingen auch Blutvergießen und Glamour mit, Halluzinationen und Schizophrenie.“

Generell sei gerade in den Staaten die Tendenz zu beobachten, so Sheherazaad weiter, dass sich Menschen mit asiatischen Wurzeln im „Mythos der Vorzeigeminderheit“ einrichten und dafür alle abgründigeren Dimensionen der eigenen Persönlichkeit ausblenden würden. „Ich will erreichen, dass meine Hörer:innen das alles ganz ungeniert rauslassen“, sagt sie weiter. „Es geht also darum, auch diese wildere, eher verruchte Seite zu zelebrieren – und zwar insbesondere als Menschen, die Gender-expansiv denken. Schließlich hatten wir bislang in der Hindi- und Urdu-Musiktradition kaum Kontrolle über das klangliche Narrativ.“

„Es war echt zum Verrücktwerden, dass die Musik, die meinen Wurzeln entspricht, noch gar nicht existierte. Daher war mir klar, dass ich sie selbst kreieren musste“, so Sheherazaad weiter. Aufgewachsen in einem geradezu „fanatisch kunstzentrierten asiatisch-amerikanischen Haushalt“, wie sie es formuliert, wurden Shehers Hörgewohnheiten von klein auf geprägt. Beide Eltern spielten in Bands, dazu war schon ihre Großmutter eine bahnbrechende Produzentin klassischer indischer Konzerte. So verinnerlichte sie früh das Lebenswerk von Lata Mangeshkar und RD Burman, um dann als Sechsjährige ihre Gesangsausbildung anzutreten und sich intensiv mit Jazz und dem American Songbook zu befassen.

Nachdem sie dann jahrelang das westliche Repertoire bei Gesangswettbewerben und auf anderen Bühnen präsentiert hatte, gab Sheherazaad „das Singen schließlich komplett auf“. Die „Enttäuschung über das Englische als emotionale Sprache“ war einfach zu groß, nachdem sie sich mit der Kolonialgeschichte Großbritanniens befasst hatte. Zugleich spürte sie nach längeren Aufenthalten in Indien eine innere Orientierungslosigkeit, was auch der Tatsache geschuldet war, dass ihre Wurzeln sowohl im Norden als auch im Süden des Landes lagen. Ihr Akzent und die vielen Bindestriche, die unsichtbar ihr ganzes Selbstbild und ihre Psyche durchzogen, machten die Sache noch komplizierter für Sheherazaad.

Um die sich kontinuierlich verändernde eigene Positionierung künstlerisch zum Ausdruck zu bringen, landete sie stattdessen bei experimentellen Theaterbühnen und Bollywood-Tanz. Und als sie dann fürs Studium nach New York gezogen war, kam sie sehr schnell mit einer deutlich radikaleren Kunst-Community mit südasiatischen Wurzeln in Kontakt. Sie entdeckte Gruppen wie die Swet Shop Boys für sich, befasste sich intensiv mit der Geschichte der asiatischen Electro-Gegenkultur Großbritanniens und begegnete schließlich auch der pakistanischen Grenzgängerin Arooj Aftab. „Ab da wusste ich, dass ich meine Gesangsstimme wiederbeleben und sie neu kalibrieren musste. Weil ich teilhaben wollte an dieser neuen Welle der klanglichen Innovation aus der Diaspora, die auch mit politischen Befreiungsprozessen verbunden ist“, so Sheherazaad weiter.

Die nächste Station für Sheher war dementsprechend Kalifornien, wo sie ihre ursprüngliche Stimmgewalt wiederherstellen wollte. In Madhuvanti Bhide, einer großen Lehrerin der klassischen Hindustani-Musik, fand sie dort ihren „Nordstern“, wie sie sagt. Als ihr Guru half sie Sheher dabei, ihre alte Stimme wiederzufinden. Zusammen setzten sie dafür auf die „Ghanara“-Methode. Da sie noch mehr verschüttete Wurzeln freilegen wollte, studierte sie parallel dazu auch Arabisch, Hindi und Urdu – wobei sie sehr schnell Fortschritte machte und sich schon bald an ersten Songtextskizzen versuchte. So entstand schließlich ihr 2020 in Eigenregie veröffentlichtes Indie-Projekt Khwaabistan, was wiederum Arooj Aftab hellhörig werden ließ. So kam es, dass Aftab ihr das Angebot machte, das nächste Projekt zu produzieren.

Schließlich begannen die beiden die Arbeit an Qasr, das während der Pandemiezeit in ersten Remote-Sessions konkrete Formen annahm. Zunächst tauschten sie sich nur digital zwischen Ost- und Westküste aus. Die eigentlichen Aufnahmen fanden schließlich im Herzen von Brooklyn im Glass Wall Studio statt. Die unbeschreibliche Energie der nächtlichen Sessions speiste sich dabei vor allem aus der einzigartigen (und einzigartig internationalen) Konstellation der Mitwirkenden: u.a. mit dabei waren auch Basma Edrees (Ägypten), Gilbert Mansour (Libanon) und Firas Zreik (Palästina).

Auf Qasr lädt uns Sheherazaad in eine betörende und vollkommen neue Klangwelt ein: in ein Reich der Musik, das genau genommen noch gar nicht von dieser Welt zu sein scheint. Zugleich lässt sie die Fackel der nomadischen Erfahrung auflodern, gibt auch diesem Feuer einen sehr viel prominenteren Platz. Insgesamt entwirft die Künstlerin mit diesem betörenden Album ihre eigene Festung. Denn sie will auch uns dazu ermutigen, unsere eigenen Festungen, unsere eigenen klanglichen König:innen-Reiche und unmöglichen Traumwelten zu entwerfen.

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